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Nachruf auf Renate Blätgen (1926 – 2024)

Trauer und Anteilnahme hat auch in der Evangelischen Stadtakademie Bochum die Nachricht ausgelöst, dass Renate Blätgen am 30. Juni 2024 im Alter von 98 Jahren nach längerer Krankheit gestorben ist. Zwar kam diese Nachricht nicht unerwartet für Menschen, die noch Kontakt zu ihr hatten. Aber der Abschied fällt schwer.

Renate Blätgen war Bochumerin mit Leib und Seele. Geboren am 25. März 1926 im Ehrenfeld als Kaufmannstochter Renate Elise Julia Schmidt, bildete sich bei ihr durch die wachsende Distanz der Eltern zum Nationalsozialismus schon früh ein kritisches politisches Bewusstsein. An den Brand der Bochumer Synagoge am 9. November 1938 hatte sie persönliche Erinnerungen, mehr noch an die Bomben auf Bochum, die im 2. Weltkrieg zur Evakuierung ihrer Schule nach Pommern führten.

Der Krieg hat ihr viel von ihrer Jugend geraubt. Zu den schweren Erfahrungen der Nachkriegszeit gehörte der frühe Tod der Eltern. In diesen Jahren schloss sie sich einem Kreis junger Menschen in der Melanchthon-Gemeinde an und begann das Studium der Theologie an der Universität Münster. Hier begegnete sie dem Theologiestudenten Gert Blätgen, mit dem sie nach der Heirat im Herbst 1953 in die Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Hüllen ging und von dort aufgrund seiner Berufung zum Rektor der Evangelischen Fachhochschule wieder nach Bochum. Es waren glückliche Jahre, in denen der Sohn Paul-Heinrich und die Töchter Margarete und Katharina geboren wurden.

Renate Blätgen wäre selbst gern Pfarrerin geworden; aber die kirchlichen Ordnungen zu damaliger Zeit versperrten ihr diesen Weg. Sie hat sich davon nicht beirren lassen, sondern aus Liebe zu Theologie und Kirche ein intensives ehrenamtliches Engagement auf allen kirchlichen Ebenen entwickelt, zunächst in der Ortsgemeinde, Jahre später auch im Kirchenkreis und in der Landessynode.

Allerdings gab es einen Einschnitt in ihrem Leben, der den Glauben von Renate Blätgen auf die Probe stellte: der  Tod ihres Mannes im Alter von nicht einmal fünfzig Jahren. Der Verlust hat sie hart getroffen und ihr für etliche Jahre das Leben schwer gemacht. Aber sie hat sich durchgekämpft, die Kinder durch Schule und Studium gebracht und am Ende neuen Lebensmut gewonnen. Den Durchbruch – so hat sie mir einmal erzählt – bewirkte ein Geschenk: Die Geburt der ersten Enkelin Charlotte im Jahr 1981.

Mitte der 1980er Jahre tauchte sie dann in der Evangelischen Stadtakademie auf, beeindruckte durch ihre fundierten Beiträge und engagierte sich bald in der inhaltlichen und organisatorischen Arbeit. Im Jahr 1989 wurde sie in den Vorstand der Akademie gewählt, 1991 zugleich stellvertretende Vorsitzende, ein Amt, das sie länger als 25 Jahre ausfüllte. Sie war meinungsstark, manchmal auch unbequem und konnte Druck machen, wenn ihr etwas nicht schnell genug voranging.

Von ihrer außerordentlichen Vitalität bis ins hohe Alter haben alle profitiert. Bei den abendlichen Veranstaltungen war sie fast immer präsent.  Die Mitglieder der Stadtakademie schätzten ihre herzliche, menschlich zugewandte Art, die auch ein persönliches Gespräch möglich machte.

Ihr Amt im Vorstand der Akademie hat sie in vorbildlicher Weise mit Leben gefüllt. Die Evangelische Stadtakademie – so ihr Credo – müsse Forum und Faktor in Bochum sein. Forum als Ort von aktueller Information aus erster Hand und einer respektvollen, gern auch kontroversen Diskussion. Faktor in Gestalt von Projekten, die Veränderung bewirken und neue Wege weisen.

Deshalb unterstützte sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Akademie im alltäglichen Geschäft ganz praktisch durch ihre Arbeitskraft und ihr Organisationsgeschick, insbesondere bei Langzeitprojekten wie der Aktion „Eine Synagoge für Bochum“ und dem „Stelenweg zur jüdischen Geschichte in Bochum und Wattenscheid“. Die ersten Stationen hat sie als Gründungsmitglied der AG Stelenweg selbst mitentwickelt. Zur Einweihung der 6. Stele am Dr. Ruer-Platz im Mai 2017 ist sie von ihrem Alterswohnsitz Neukirchen-Vluyn eigens angereist und von der 12. Stele für Wattenscheid konnte ich ihr in unserem letzten Telefongespräch vor wenigen Wochen noch berichten.

Es ist schwer, die Evangelische Stadtakademie Bochum ohne Renate Blätgen zu denken. Der Abschied tut weh.

                             Manfred Keller

                             Im Auftrag der Evangelischen Stadtakademie Bochum

Neue Publikation auf unserer Homepage:

Exkursionen ins jüdische Westfalen 
Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen

Im jüdischen Bochum - 
Spurensuche auf dem Stelenweg

  • Dr. Anja Nicole Stuckenberger
    Einweihung der Stele 8 Nordbahnhof - eine Feier im Video-Format

    Die 8. Stele des Stelenwegs zum jüdischen Leben in Bochum wurde vor dem Nordbahnhof errichtet! Wir wollten diesen Anlass auch in Zeiten der Corona-Pandemie feierllich würdigen und präsentieren Ihnen daher eine Einweihungsfeier im Video-Format mit Beiträgen von Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, Dr. Manfred Keller, Dr. Michael Rosenkranz, Dr. Anja...