Di, 3. März 2015, 19:30 Uhr

Evangelische Stadtakademie Bochum, Westring 26 c

Dr. h.c. Andreas Mertin, Hagen

Zwischen Kunstfieber und Bilderstreit. Die Protestanten und die Kunst

Das Verhältnis von Kirche und Kunst lässt sich im Bild der Landkarte verdeutlichen, einer Landkarte, die das Terrain ausweist, auf dem Kunst und Kirche sich begegnen, eine Landkarte, die geprägt ist von Grenzstreitigkeiten, Abgrenzungen und Grenzüberschreitungen, punktuell verschwimmenden Grenzen, Gebieten unter gemeinsamer Verwaltung, auch solchen, wo beide sich die Herrschaft streitig machen. Aber über weite Strecken trennt ein tiefer Graben beide Gebiete. Zwar gibt es Brückenschläge, zaghafte Versuche der Grenzüberwindung, gebunden zumeist an einsame Grenzgänger, aber sie kommen nicht weit, zumal auf der anderen Seite nicht klar ist, ob man einstimmen soll in die vorschnell erhobene Forderung, alle Schlagbäume sollten verschwinden. Das Kartennetz auf dem Gebiet der Kirche ist eng geknüpft, Ergebnis einer fast zweitausendjährigen Vermessungsarbeit. Die Wegmarken entlang der historischen Grenze zur Kunst, die höchst variabel war, heißen Bilderverbot und Bilderstreit, 'biblia pauperum', Kultbild, Mäzenatentum, Distanzierung, Resakralisierung und Gleichgültigkeit. Aber es gibt auch weiße Flecken auf der Karte, Reizpunkte für Expeditionen, Versuche sensibler An-näherung oder radikaler Auseinandersetzung. Zurzeit ist das kulturelle Klima innerhalb der Kirchen gekennzeichnet durch Kunstfieber auf der einen, Bilderstreit auf der anderen Seite, wobei noch nicht ausgemacht ist, wo die Bilderfeinde und wo die Bilderfreunde zu lokalisieren sind. Der gegenwärtigen Tendenz zur Visualisierung und Versinnlichung der christlichen Religion korrespondieren Versuche von Protestanten, den Bildern ins Wort zu fallen. Auf dem Gebiet der Kunst dagegen ist die Kartometrie noch relativ jung, ihr Koordinatennetz noch unbestimmter, leichter zu revolutionieren. Ihr Terrain aber hat eine lange Tradition, beginnend mit der menschlichen Frühgeschichte über seine Blüte im antiken Griechenland und unter der langen Knechtschaft durch die Kirche im Abendland bis hin zur Entkolonialisierung in den letzten 250 Jahren mit all ihren Folgen: Irritation, Neuaufbruch, Besinnung auf die Tradition, radikale Infragestellungen und revolutionäre Neuerungen. Die Grenzpfähle mussten sorgsam gesteckt, Gebiete mühsam errungen und Neigungen zurück zu den Fleischtöpfen kirchlicher Auftraggeber bezwungen werden.
Es geht in meinem Vortrag ebenso um die Betrachtung dieser Kartenskizze, wie um die Beschreibung topographisch herausragender Punkte, nicht zuletzt aber auch um die Benennung gelungener Brückenbauten für die Reiserouten derer, die sich selbst auf den Weg machen wollen in diese terra incognita. Dabei stellt sich das Verhältnis der Kirche zur Kunst seit dem 20. Jahrhundert sehr unterschiedlich dar, je nachdem, ob man die theologische Theorie oder die kirchliche Praxis bei der Betrachtung zugrunde legt. Während es auf der Ebene der Theorie ab und zu kulturelle Aufbrüche gibt, überraschende Öffnungen zur bildenden Kunst oder auch Parallelen zu bestimmten Kunstbewegungen, sieht es auf der Ebene der kirchlichen Praxis ambivalent aus. Nur selten fand zeitgenössische Kunst Einlass in kirchliche Räume, den Regelfall bilden epigonale Kunstwerke. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das Themenjahr 2015 Bibel und Bild der Lutherdekade bietet vielleicht Anlass, neue Bestimmungen im Verhältnis von Kunst und Protestantismus vorzunehmen.
Kosten0,- €
Termine03.03.2015 19:30 - 21:30 Uhr
Andreas Mertin Dr. phil. h.c. (*1958), ist Theologe und Kulturwissenschaftler, Herausgeber des E-Zines "tà katoptrizóme-na - Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik" (http://www.theomag.de)">http://www.theomag.de">http://www.theomag.de) und Kurator der kirchlichen documenta-Begleitausstellungen 1997-2007 der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er publiziert zur Geschichte und zur aktuellen Begegnung von Kunst und Kirche und zur Verhältnisbestimmung von Theologie und Ästhetik. Publikationen s. http://www.amertin.de
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