Di, 3. Dezember 2013, 19:30 Uhr

Evangelische Stadtakademie Bochum, Westring 26 c, 44787 Bochum

Dr. Andreas Weber, Berlin

"Enlivenment" - Eine zweite Aufklärung im Zeichen der Lebendigkeit

"Por el amor vislumbramos... a la vivacidad pura." ("Durch die Liebe erspähen wir einen Funken... der reinen Lebendigkeit.")
Octavio Paz, La llama doble (Die doppelte Flamme), 1993
 
Viele derzeit drängenden Probleme unserer materiellen Kultur - also gewissermaßen die existenzielle Krise des Planeten - lassen sich auf einen zentralen Punkt zurückführen: Wir betrachten die Welt unter der Perspektive des Toten. In allen Disziplinen der Wissenschaft, in Biologie, Ökonomie, aber auch Politik und Bildung gilt immer noch, dass die Wirklichkeit ein kybernetischer Zusammenhang von unbelebten kleinsten Bausteinen ist, und dass wir diese Wirklichkeit verbessern können, indem wir diesen Zusammenhang analysieren, auf seine Elemente reduzieren, zerlegen und mit Hilfe technischer und ökonomischer Verfahren verbessern. Das ist eine Erbe der Aufklärung, des "Enlightenment". Um aber in einer Zeit von Krisen der Lebendigkeit handlungsfähig zu werden, müssen wir selbst wieder lebendig werden. Wir brauchen nicht mehr "Enlightenment", sondern "Enlivenment".
Die Achillesferse allen nachhaltigen Handelns liegt darin, dass es sich selbst diese Haltung zu eigen gemacht hat. Aber Probleme lassen sich nicht mit den Mitteln lösen, die zu ihrer Entstehung beigetragen haben. Der tiefere Irrtum unserer Zivilisation in ihren multiplen Krisen (Wachstum-, Artenschwund-, Ungleichverteilung-, Hunger-, Sinnerfahrung) liegt vermutlich gerade darin, dass die Welt nicht als ein zutiefst schöpferischer, kreativer, expressiver Prozess des Werdens begriffen wird, kurz: dass wir vergessen haben, was Lebendigkeit ist. Das Bild, das die Perspektive des "Enlivenment" von der Wirklichkeit zeichnet, ist das eines zutiefst poetischen und empfindsamen Universums, eines Universums, in dem die menschlichen Subjekte nicht von den anderen Organismen getrennt sind, sondern gemeinsam ein Netz des Lebens bilden, das "Fleisch der Welt", das sich vielleicht am besten im künstlerischen Ausdruck erfassen lässt, als ein schöpferisches Spiel. Weil wir alle Körper sind, die Sinn hervorbringen, weil die Wirklichkeit ein Beziehungsgeflecht von Akteuren ist, die sich in diesen Bezeihungen erst hervorbringen und dadurch ihre prekäre Existenz zu einem Wahrnehmungsorgan machen, sollten wir die Kategorien der Aufklärung, die bei aller Kritik, die sie im 20. Jahrhundert erfahren haben, immer noch regieren, durch eine Rationalität der Lebendigkeit ersetzen. Sie ist nicht daher verallgemeinerbar, weil sie diskursivierbar ist, objektiv und empirisch, sondern weil wir sie teilen. Die neuen Kategorien wären somit "subjkektive Empirie" und "poetische Objektivität". Auf diese Weise erhält jede Politik der Nachhaltigkeit eine ganz neue Perspektive, weil auch sie nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie die Lebendigkeit der Natur und der Gesellschaft steigert - als eine Politik des Lebens.
Dr. Andreas Weber ist Biologe und Philosoph. Er schreibtals freier Autor, Journalist und Redakteur regelmäßig Beiträgefür große Magazine und Zeitungen.
Kosten4,- €, erm. 2.00 €
Termine03.12.2013 19:30 - 21:30 Uhr

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